Die WHO, die Pandemie und die multilaterale Weltordnung
24. APRIL 2020 / Corona Rechtswissenschaften
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht in der Hochphase der Pandemie in der Kritik: Zu spät und zu einseitig habe die Organisation agiert, kritisierte unlängst US-Präsident Donald Trump und stellte die Zahlungen an die Sonderbehörde der Vereinten Nationen ein. Welche Macht hat die WHO und wie sollte sie sich positionieren? Armin von Bogdandy, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, forscht zu den rechtlichen Grundlagen, auf denen die WHO in Pandemien wie der aktuellen agiert. Seine Einblicke und die Folgerungen daraus hat er auch in einem Aufsatz mit Pedro Villarreal in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. April 2020 veröffentlicht.
Professor von Bogdandy, wir erleben eine Welt im lockdown: Ausgangssperren, Quarantäne und Grenzschließungen in vielen Ländern der Welt.
Die Anordnungen treffen die Staaten selbst. Welche Befugnisse hat die WHO im Fall einer Pandemie?
Die WHO dient seit 1948 dem globalen Multilateralismus in Sachen Gesundheit und erstarkte nach dem Fall der Berliner Mauer zu einem Hoffnungsträger menschheitsfreundlicher global governance.
Ihre Befugnisse sind daher weitergehend als die der meisten anderen globalen Institutionen. Sicherlich kann sie
keine lockdowns anordnen, Krankenhausbetten global verteilen oder Therapien verordnen. Sie kann aber, anders als die meisten globalen Organisationen, per
Mehrheitsbeschluss der Mitgliederversammlung mit hartem Recht global regulieren. So erließ die WHO etwa 2005, unter amerikanischer Leadership, die sogenannten
Internationalen Gesundheitsvorschriften. Sie machen der internationalen Zusammenarbeit bei Pandemien
ausführliche Vorgaben und bilden einen unerlässlichen Baustein der gegenwärtigen Krisenbekämpfung.
Weiter konnte die WHO mit weltweiter Gültigkeit feststellen, dass es sich bei Covid-19 um eine Pandemie handelt und hat so dem Handeln von 194 aufgeschreckten Regierungen einen gemeinsamen kognitiven Rahmen gesetzt. Zudem kann sie Empfehlungen zum Krisenumgang aussprechen.
Wie verbindlich sind diese Internationalen Gesundheitsvorschriften?
Sie sind
bindendes Recht, allerdings können die Staaten einen
opt out erklären.
Die Einschätzung einer Lage als Pandemie ist nicht bindend.
Allerdings sehen viele nationale Gesetze vor, dass die nationalen Behörden Schutzmaßnahmen ergreifen müssen, wenn die WHO eine solche Einschätzung trifft.
Die Empfehlungen der WHO sind als solche ebenfalls nicht bindend, aber die Mitgliedstaaten müssen der WHO Abweichungen melden und auch rechtfertigen.
Was passiert, wenn sich ein Mitgliedsland nicht daran hält?
Die Internationalen Gesundheitsvorschriften können als solche
nicht vor innerstaatlichen Gerichten eingeklagt werden, sondern nur, wenn sie in nationalen Gesetze umgesetzt wurden. Es gibt aber die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen einen Streit vor den Permanent Court of Arbitration zu bringen, was allerdings noch nie geschehen ist und auch gegenwärtig als sehr unwahrscheinlich erscheint.
Es ist aber festzuhalten, dass der staatliche Rechtsgehorsam gegenüber dem Völkerrecht weniger aus der Furcht folgt, vor einem Gericht verklagt zu werden, als aus der Einsicht, dass Normbefolgung im langfristigen Eigeninteresse liegt.
China soll angeblich Informationen zurückgehalten und somit zur Verbreitung von Sars-CoV-2 beigetragen haben. Welche Handhabe hat die WHO qua Recht gegen einen meldesäumigen Mitgliedsstaat?
Die WHO hat keine harte Sanktionsmöglichkeit. Sie kann aber naming and shaming betreiben.
Artikel 9 der Internationalen Gesundheitsvorschriften ermöglicht es der WHO, nicht nur offizielle Berichte, sondern auch „andere Berichte“ über die Lage in einem Land zu berücksichtigen. Da auch in sozialen Medien über die aktuelle Situation in einem Land berichtet wird, kann die WHO die offiziellen chinesischen Daten mit solchen „anderen Berichten“ vergleichen, Unstimmigkeiten identifizieren und von den Behörden eine Klärung verlangen. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass die WHO Informationen aus solchen Berichten mit anderen Staaten teilen darf, wenn sich der betroffene Staat als unkooperativ erweist.
Folglich spielt die WHO eine zwar technische, aber dennoch wichtige Rolle in dem sich abzeichnenden Wettstreit politischer Systeme.
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